Führung: Angst vor Gefühlen?

Wenig Themen werden so kontrovers diskutiert wie Gefühle. Das ist in der Arbeitswelt nicht anders als zuhause am Esstisch oder im Schlafzimmer. Stammtischparolen wie mangelnde Kontrolle bei Anwesenheit von Gefühlen sind bis in die Forschung vorgedrungen. Anders als viele glauben, sind Gefühle keine Stolpersteine auf dem Weg zu wirtschaftlichem und persönlichem Erfolg. Denn das Wahrnehmen und Erkennen (Kognition) ist selten trennbar von Gefühlen und noch seltener ist diese Trennung sinnvoll.

In den letzten 20 Jahren hat die Führungsforschung Emotionen entdeckt und untersucht. Sie basieren zunächst auf Arbeiten von James Gross, der Emotionen als einen integrierten Wahrnehmungs- und Bewertungsprozess versteht. Lisa Feldman Barrett hat dazu sogar einen berühmten TED-Vortrag gehalten und dem staunenden Publikum erklärt, dass Emotionen sehr persönliche Vorhersagen auf Basis früherer individueller Erfahrungen sind, die vor allem auf der Wahrnehmung des eigenen Körpers beruht. Vor allem aber sind sie bis auf wenige Ausnahmen keine festgelegten Erlebnisse, wie Barrett in ihrem Vortrag ausführt „Es mag sich für Sie so anfühlen, als seien Gefühle fest verdrahtet und dass sie einfach ausgelöst werden und Ihnen zustoßen, aber das tun sie nicht. Sie glauben vielleicht, dass Ihr Gehirn fest verdrahtete emotionale Schaltkreise hat, und dass diese angeboren sind, aber das ist nicht so. Tatsache ist, dass keiner von uns hier emotionale Schaltkreise im Gehirn hat. Tatsächlich besitzt kein Gehirn dieser Welt emotionale Schaltkreise. […] Was sind Emotionen dann wirklich? Emotionen sind Vermutungen. Sie sind Vermutungen, die Ihr Gehirn in dem Moment aufstellt, wo Milliarden von Nervenzellen zusammenarbeiten. Und Sie haben mehr Kontrolle über diese Vermutungen, als Sie wahrscheinlich denken. “

Das scheint paradox, dass Psychologen auf Basis ihrer Untersuchungen Emotionen als kontrollierbar einstufen. Und dass, wo doch ganze literarische oder cineastische Genres darauf beruhen, dass Menschen in Gefühlsausbrüchen ihre Kontrolle verlieren. Nun, niemand hat gesagt es sei einfach oder immer sinnvoll, sich oder die eigenen Gefühle zu kontrollieren. Aber es ist möglich und hilfreich, dies zu tun. Denn oft basieren Gefühle auf körperlichen Sensationen wie kalter Schweiß, Magenknurren oder pochendem Herzschlag. Das Gehirn sucht die Umwelt nach Reizen, die eine Erklärung sein könnten und auf Basis von Erfahrungen liefert es dann eine äußere Erklärung für innere Zustände: der Mann da drüben guckt grimmig, das Kind schreit zu laut oder dieses unbekannte Insekt an der Autoscheibe könnte einen tödlichen Stachel haben. In Wahrheit haben wir aber zuwenig getrunken, waren zu lange an der Sonne, sind unterzuckert oder haben schlecht geschlafen.

Emotionale Intelligenz existiert nur in der Anwendung

Das bedeutet, dass wir gar nicht so unschuldig an Emotionen sind. Wir machen sie. Als Vorhersage und Erklärung für etwas was wir innen wahrnehmen, um es mit der Außenwelt zu erklären. Denn wir haben einen viel besseren Zugang zur Außenwelt als zu uns selbst. So gesehen ist auch die Diskussion um Emotionale Intelligenz obsolet. Denn wie wir jetzt wissen, helfen uns unsere Emotionen eigene körperliche Zustände, die wir selten klar benennen aber sehr klar empfinden können mit äußeren Reizen zu erklären. Lisa Feldman Barrett hat ein tolles Beispiel, das viele kennen: „Wir waren alle vor Prüfungen nervös, oder? Aber manche Menschen empfinden eine lähmende Angst vor Prüfungen. Sie haben Prüfungsangst. Ausgehend von vergangenen Prüfungserfahrungen, sagen Ihre Gehirne einen trommelnden Herzschlag und schwitzige Hände voraus, sodass sie den Test dann wirklich nicht machen können. Sie schneiden schlecht ab und manchmal scheitern nicht nur einzelne Fächer, sondern das ganze Studium. Doch hier eine Überlegung: Ein trommelnder Herzschlag bedeutet nicht unbedingt Angst. Er könnte eine Vorbereitung des Körpers auf Herausforderungen sein und Sie den Test meistern […] Studien ergaben, dass Schüler, die lernen diesen Energieschub zu nutzen, statt ihn in Angst umzuwandeln, bei Prüfungen besser abschneiden. Diese Entschlossenheit lässt Ihre Gehirne in Zukunft anders vorhersagen und ihre Schmetterlinge fliegen dann im Formationsflug. Wenn sie das oft genug machen, werden sie nicht nur den Test bestehen, sondern auch das Fach bestehen und vielleicht sogar das Studium abschließen, was Ihre zukünftigen Gehälter enorm beeinflusst. Ich nenne das: Angewandte emotionale Intelligenz. “

Wenn Führungskräfte dieses Wissen haben und ihre Mitarbeiter dabei unterstützen, dass Schmetterlinge in Formation fliegen, dann sind Gefühle ein Motor, der über das übliche Gerede von intrinsischer und extrinsischer Motivation hinaus Menschen und Firmen beflügeln kann.

Gross, J. J. & John, O.P. (2003). Individual differences in two emotion regulation processes: Implications for affect, relationships, and well-being. Journal of Personality and Social Psychology, 85 (2), 348-362.