Interdisziplinäre Kompetenzen in Organisationen: Basis für Diversity und Agilität

Ein Dutzend Disziplinen verwendet den Begriff Kompetenz. Oft wird der gesamte Problemkomplex einer sich verändernden Arbeitswelt mit dem Ruf nach neuen Kompetenzen „gelöst“.  Kompetenz fasst viel zusammen: Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und persönliche Eigenschaften. Gibt es überhaupt einen Zusatznutzen zu diesen gut untersuchten Konstrukten der Arbeitswissenschaft und Personalpsychologie?

Die Ungenauigkeit des Kompetenzbegriffs liegt bereits in seinem Ursprung (lat. competere = zusammentreffen oder auch zukommen). Seit zwei Jahrzehnten werden Arbeiten über die Metaebene der Fach-, Methoden-, Sozial – und Selbstkompetenz publiziert, ohne dass diese Arbeiten in einem evidenzbasierten Modell breite Anwendung gefunden haben. Aufgrund der hohen Schlagzahl an Veränderungen und neuen Erkenntnissen in vielen Bereichen unseres Lebens lohnt sich daher der Blick aus der Vogelperspktive eher weniger.  Aber unter der Oberfläche liegen grundlegende Querkompetenzen, die den dynamischen Umgang und die Reflexion mit Wissen(serwerb) und die Kommunikation mit anderen  Zeitgenossinnen in den Blick nehmen. Vor allem wenn man Agilität und Selbstorganisation einführen will, könnte eine sinnvolle vorbereitende Maßnahme darin liegen, Teams auf Basis der folgenden Kompetenzen zusammen zu stellen.

Die Psychologinnen Claus und Wiese haben ein Modell vorgestellt, das vier grundlegende interdisziplinäre Kompetenzen in den Blick nimmt: Initiative zum Austausch, Zielgruppenspezifische Kommunikation, Wissensintegration und Reflexion der eigenen Fachdisziplin. Aus der Erforschung von Diversität wissen wir, dass die Wahrnehmung von Problemen und Aufgaben vor allem auf bisherigen Erfahrungen beruht. Das ist Segen und Fluch zugleich. Sie sind im beruflichen Umfeld durch die Ausbildung und Studium sowie bisherige Positionen geprägt. Sie formen die Identität als Teil der jeweils individuellen personalen und sozialen Identität der Mitarbeitenden. Die Folge sind Fachwissen und spezifische Kompetenzen, aber auch eine eingeschränkte Sicht bei der Analyse und Lösungen von Aufgaben. Vor allem aber ist die Identität bedroht, wenn die Erfahrung nicht gebraucht, infrage gestellt oder gar ersetzt werden soll.

Diversität in Teams

Die Ratgeberliteratur zu heterogenen Teamzusammensetzungen füllt ganze Hallen. Konkret können Teamkonstellationen aber vor allem dann Probleme bereiten, wenn die unterschiedlichen Perspektiven nicht gemeinsam in die Analyse und Bearbeitung einzelner Schritte eingehen. Die beiden Forscherinnen weisen auf das Categorization-Elaboration Modell (CEM) von van Knippenberg und van Ginkel (2010) hin: Um die Vielfalt als Vorteil in der Zusammenarbeit zu nutzen, müssen alle möglichst viel über die Perspektiven der anderen wissen. Dabei geht es nicht nur um Perspektivübernahme: Das Modell beschreibt Prozesse hinsichtlich Kreativität, Innovationen und Teamleistung unter dem Postulat, dass die Verarbeitung von Informationen und die soziale Kategorisierung der eigenen und fremden Personen Hand in Hand gehen und positive und auch negative Folgen für das Individuum und das Team hat. Das erfordert geschulte Führungskräfte, die besondere Fürsorge und Respekt für alle Mitarbeitenden zeigen und sich um deren Wohlergehen kümmern sowie Wertschätzung und Unterstützung in alle Richtungen in Wort und Tat zeigen.

Kommunikation und Dolmetschen zwischen Rollen und Disziplinen

Um negative oder destruktive Knonsequenzen zu limitieren, ist die Elaboration, also Kommunikation eine grundlegende Kompetenz des Modells. Diese muss zielgruppenspezifisch erfolgen, denn jedes Teammitglied kommt mit dem eigenen Vorwissen und eigenen Ansprüchen an kommunikativen Austausch. Daher muss zwischen den Fachdisziplinen und Arbeitsrollen gedolmetscht werden. Dies passiert vor allem über eine Anpassen von Abstraktionslevels. Es beginnt beim Erklären der Fachbegriffe aus Sicht der eigenen Disziplin bzw. Abteilung und endet nicht darin, auf Problem und Mißstände hinzuweisen.

Reflexion der eigenen Fachdisziplin

Um eine Kommunikation mit anderen auf diese Weise zu führen, muss man sich der eigenen Perspektive bewusst sein. Zum einen, um sie für andere zu erklären  und zum anderen, um die Begrenztheit zu verstehen, die natürlich für alle gleichermaßen gilt und erst im Team aufgehoben wird. Das beinhaltet fachliche Standards, Methodiken und Methodologien, aber auch die bereits eingefahrenen Wege im Umgang mit Theorie und Praxis. Denn innerhalb vieler Disziplinen gibt es wenig Austausch zwischen Forschern und Praktikern. Die Folge in der Psychologie ist, dass die einen Interventionen erforschen und die anderen die Implementierung. Obwohl beide dasselbe Thema untersuchen, reden sie selten miteinandern aber oft übereinander. Wenn Projekte schief gehen oder Evaluationen kritische Pfade aufzeigen, kommt nach der Phase des gegenseitigen Abstreitens von Verantwortung nur noch der vorwurfsvolle Blick auf die unzureichenden Werkzeuge und Methoden von anderen Beteiligten.

Initiative zum Austausch

An die eigene Reflexion schließt sich nahtlos die Motivation an, sich überhaupt mit einer fremden bestenfalls reflektierten Sicht auf die Dinge zu konfrontieren. Das klingt nach einem Persönlichkeitsmerkmal, ist zunächst aber vor allem die Hinwendung zum aufgabenorientierten Kontakt: die Initiative für eigene Vorschläge, der Wille zur gemeinsamen Diskussion und das beobachtende Wahrnehmen anderer Perspektiven. Auf den zweiten Blick fällt auf, dass dies vor allem eine Frage der Team- oder Organisationskultur ist. Revierförsterei im Allgemeinen und thematische Abgrenzung im Speziellen ist selten ein Phänomen einer einzelnen Person.

Wissensintegration

Die Königsdisziplin besteht darin, neugierig die Querverbindungen zwischen verschiedenen Sichtweisen zu suchen und zu finden. Denn thematische und disziplinäre Offenheit ist eine anstrengende Aktivität, die nicht selten an den eigenen Erfahrungen und methodischen Gerüsten rüttelt. Vor allem aber rüttelt sie an Abgabeterminen, an schnellem Konsens und damit an der Länge der Meetings. Sich schnell und oberfächlich zu einigen, um das Meeting und den Sprint oder die Aufgabe abzuschließen, ist das Gegenteil einer integrierenden Kompetenz. Sie ist auch oft das Gegenteil einer erfolgreichen Lösung.

Fazit

Die beiden Psychologinnen haben ihr Modell gut theoretisch hergeleitet und empirisch überprüft mit einem eigenen Testverfahren, das an einer akademischen Stichprobe statistisch signifikante Ergebnisse liefert hinsichtlich der prädiktiven Aussagekraft und der Faktorenstruktur selbst. Branchen- oder positionsspezifische Replikationen stehen noch aus. Auch der Blick auf relevante Outcomes in der Berufswelt muss noch weiter erforscht werden. Toll ist vor allem der Ansatz die diagnostischen Fähigkeiten in einer Verhaltenssimulation zu erforschen in einem Orientierungscenter für Nachwuchswissenschaftler/-innen aus dem MINT-Bereich mit drei Aufgaben anhand der Trait-Activation-Theory von (Lievens & Schollaert, 2011), also einem evidenzbasiertern Zugang zu Assessment Centern, der in Deutschland leider wenig bekannt ist.

Dieser erste Wurf ist bereits jetzt evident und überzeugend.  Vor allem aber versöhnt er als integrativer Ansatz, die oft schwammig formulierte Welt des New Work, agiler Projekte und der Selbtsorganisation mit überprüfbaren Konstrukten. Aus meiner Sicht ist das ein hervorragender Ansatz, um Personal- und Organisationsentwicklung zu integieren mit dem Fokus auf Innovation und eine lernende Organisation. Schöner Nebeneffekt: Diversität wird endlich zuende gedacht, über den Tellerrand von Geschlecht, Herkunft etc. hinaus auf alltägliche Probleme im Meeting: Integration verschiedener beruflicher und akademischer Hintergründe.

Schaubild des CEM-Modells von van Knippenberg,  De Dreu & Homan (2005)

Claus, A.M., & Wiese, B. S. (2019). Development and test of a model of interdisciplinary competencies. European Journal of Work and Organizational Psychology, 28, 191–205. https://doi.org/10.1080/1359432X.2019.1567491

Lievens, F., & Schollaert, E. (2011). Adjusting exercise design in assessment centers: theory, practice, and research. In N. Povah, & G.C. Thornton (Eds.), Assessment centres and global talent management (pp. 47–60). Gower

Van Knippenberg, D., De Dreu, C. & Homan, A. (2005). Work Group Diversity and Group Performance: An Integrative Model and Research Agenda. The Journal of applied psychology, 89. 1008-22. https://doi.org/10.1037/0021-9010.89.6.1008

Van Knippenberg, D., & van Ginkel, W. P. (2010). The Categorization-Elaboration Model of Work Group Diversity: Wielding the Double-Edged Sword. The Psychology of Social and Cultural Diversity, 255–280. https://doi.org/10.1002/9781444325447.ch11

Weinert, F. E. (2001): Concept of competence. A conceptual clarification. In D. Rychen, & L. Salganik (Eds.): Defining and selecting key competencies. Hogrefe & Huber.