Arbeitgeberattraktivität – Employer Branding wird zu Employee Branding?

Schon bevor sich der Fachkräftemangel zu einem allgemeinen Arbeitskräftemangel ausweitete, wurde der Aufbau einer spezifischen Arbeitgebermarke (Employer Branding) zu einer Binsenweisheit. Die Attraktivität einer Organisation soll Bewerberinnen und Bewerber anziehen und Mitarbeiter halten. Und Berater erfinden sich selbst neu mithilfe von Trendbüchern als Experten für scheinbar relevante Ingredienzen dieser Attraktivität: statt Agilität oder Nachhaltigkeit wabern nun Purpose, New Work und Demokratie im Unternehmen durch die sozialen Netzwerke. Die Bedeutung ist bestenfalls kreativ hergeleitet und die Studienlage zur Wirksamkeit zugehöriger Workshops, Seminare und Programme äußerst dünn: (Miss-)Erfolgsfaktoren und Zielvariablen solcher Interventionen sind weitgehend unbekannt. Dieses breite Wissensdefizit wird gerne durch systemtheoretisches Raunen oder den Verweis auf vermeintlich spezifische Bedürfnisse der Generation Z oder Alpha ersetzt. Manch erhobener Beraterzeigefinger droht sogar mit dem Scheitern der Firma aufgrund mangelnder Veränderungsbereitschaft. Aber was wollen nun die Bewerbenden, die in überschaubarer Anzahl in den Fluren der Personalabteilungen auf ihr Vorstellungsgespräch warten? Werfen wir einen Blick auf das, was sich derzeit mit empirischen Studien belegen lässt. Und natürlich habe ich ChatGPT am Ende “gebeten”, fünf Absätze zum Thema zu liefern. Wie immer zeigt die generative KI, dass viele Einführungstexte in Zukunft immer seltener von Menschen geschrieben werden.

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Purpose – Unsinn mit Sinn

Seit ein paar Jahren kommt keine Diskussion zu Führung oder Organisationsentwicklung in den einschlägigen Medien ohne des Beraters neue Kleider aus: Purpose.  Es ist das Banner unter dem alle New-Work-Evangelisten, agile Adepten und Firmendemokratisierer die Arbeitswelt wirklich wirklich menschlicher machen werden.
Leider trivialisiert der Purpose-Hype einen prinzipiell hilfreichen Wertehorizont der Organisationsentwicklung, weil es in sehr vielen Diskussion an drei Dingen fehlt: Ziel, Klarheit und Evidenz. Die Diskussion ist sehr oft desorientiert, weil mit kaum belastbaren Definitionen an bestenfalls nebligen Aspekten der Organisation „argumentiert“ wird. Was ist mit Purpose genau gemeint? Ein Hinweis auf Viktor Frankls Sinn des Lebens reicht und los geht’s? Die Diskussion ist verwirrt und verwirrend, weil die beschreibende und funktionale Einbettung von Purpose unklar bleibt. Wie soll man Purpose tatsächlich entwickeln? Wieviel davon ist schon da in Teams, Abteilungen oder der ganzen Firma und was fehlt eigentlich? Was sollte warum realisiert werden? Die meisten Diskussionen und Beiträge zum Thema sind mindestens spekulativ, weil sich behauptete Vorbedingungen und Effekte von Purpose in der wissenschaftlichen Literatur nicht nachweisen lassen oder aber beforschte Effekte und ihre Ergebnisse nicht eingeordnet werden. Schauen wir in die sehr kurze historische Entwicklung des Begriffs und seine jüngsten Ausformungen…

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Psychologische Eignungstests: Mythos und Wirklichkeit im Personalwesen

Matrixtest
Beispielaufgabe eines Matrizentests zur fluiden Intelligenz (Quelle: Ravens Progressive Matrices)

Firmen führen Eignungsuntersuchungen durch, um aus einem Feld von Bewerbenden künftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszuwählen. Bei seriösen Firmen werden die Auswahlkriterien durch spezifische Stellenprofile festgelegt. Denn jede Position und jeder Ausbildungsplatz bringt bestimmte allgemeine und spezielle Anforderungen mit sich. Psychologische Eignungstests zielen darauf ab, die Fertigkeiten und Fähigkeiten, die mit diesen Anforderungen zusammenhängen, so zu überprüfen, dass man die am besten passenden Bewerberinnen und Bewerber identifizieren kann. Je allgemeiner dabei vorgegangen wird, desto schwieriger ist es, sich von Schulnoten oder Intelligenztests abzusetzen.  Und je näher man sich an letztere anlehnt, desto eher wirkt man allen Diversity-Maßnahmen entgegen. Denn solche Tests sind selten kulturfair. Ein Grund, warum Eignungstests wie sie hierzulande gebräuchlich sind, in den USA schon längst verboten wären (adverse impact). Je fachspezifischer die Tests zur Eignungsfeststellung sind, desto höher ist die prognostische Validität (Vorhersagegüte) für späteren beruflichen Erfolg, ein wesentliches Gütekriterium für alle Eignungsverfahren. Wenn man davon ausgeht, dass die abgefragten Wissensformen überhaupt entscheidend im normalen Berufsalltag sind – was nur für wenige Berufe möglich ist. Warum also sollte man Geld und Zeit für Eignungsverfahren investieren, wenn die ausgewählten Personen gut abschneiden bei Aufgaben, die so oder ähnlich nie wieder im Berufsalltag auftauchen? Wir schauen den drei größeren Testdienstleistern unter die Motorhaube: dgp, eligo und beim Berufspsychologischen Service (BPS) der Bundesagentur für Arbeit…

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Marshmallow-Test: Warum einige psychologische Erkenntnisse aus Lehrbüchern und Medien verschwinden (oder umgeschrieben werden) sollten…

Marshmallows als Objekt der Begierde. (Quelle: Jennifer Smith)

Fast jeder kennt die Untersuchungen aus der Vorschule des Stanford Campus von Walter Mischel und Kollegen: In der Urform erklärten die Versuchsleiter den Kindern, dass man für einige Zeit den Raum verlassen würde. Durch Klingeln mit einer Glocke könnten sie die Versuchsleitenden sofort zurückrufen und würden dann einen Marshmallow erhalten. Würden die Kinder aber warten bis die Person von selbst zurückkam, dann bekämen sie zwei Marshmallows. Wenn die Kinder nicht klingelten, kehrten die Wissenschaftler nach 15 Minuten zurück. Die meisten Kinder konnten zwischen 6 und 10 Minuten warten. Auf Basis dieser Forschung wurden in Längsschnittstudien Jahre später mit denselben Probandinnen und Probanden viele Erfolgskriterien geprüft. Denn man glaubte, mit dem Belohnungsaufschub einem Indikator für das psychologische Konstrukt Selbstkontrolle auf der Spur zu sein, das sogar persönlichen und beruflichen Erfolg vorhersagen können sollte. Das Experiment wurde vielfach wiederholt und die Ergebnisse bestätigt. An sich ist das toll, denn viele Studienergebnisse überleben das Wiederholen derselben Forschungsaufgabe (Replikation) nicht. Die Längsschnittstudien mit Marshmallows schienen den starken Einfluss von Selbstkontrolle auf Erfolg sogar kausal zu belegen.  Zwei Drittel des Effekts liegt jedoch nicht in der Selbstkontrolle begründet sondern ganz woanders… im Elternhaus.

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Sportsgeist: Can we have two golds?

Die beiden Hochspringer Mutaz Barshim und Marco Tamberi erreichten beide problemlos eine Höhe von 2,37m ohne Fehlversuche, bis sie beide 2,39m überspringen mussten. Nach drei Fehlversuchen trat ein Offiizieller an sie heran und erklärte, sie könnten es nun in einem Jump-Off unter sich ausmachen. „Ich sah ihn an, und er mich, und wir wussten es. … Weiterlesen

Teamwork im Kopf: Effizienz ist nicht der Königsweg sondern Konsistenz

Augen und Ohren schaufeln eine Unzahl an Daten in unser Gehirn. Sie werden gewichtet und bewertet, bevor auf ihrer Grundlage Entscheidungen stattfinden. Sie können aber auch zusammengefasst als ganzes Phänomen erwünscht, abgelehnt oder neutral behandelt werden. Bisher dachte man, dass sich dazu ganze Gruppen an Neuronen spezialisieren für eine effiziente Reizverarbeitung. Das Bild wandelt sich: Theoretische Neurowissenschaftler deuten auf Basis neuer Experimente in eine integrierte Richtung der Kognitionsforschung. Nicht optimierte Reizverarbeitung einzelner spezialisierter Bereiche sondern eher durchschnittliches, aber gemeinsames Verarbeiten verschiedener Bereiche auf Basis von Konsistenz sichert gute Entscheidungen ab.

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Eignungstests & Diversity: Wann kommt die 4/5-Regel zur Bewerberauswahl in Europa an?

Adverse impact ist der negative Effekt, den ein unfaires und voreingenommenes Auswahlverfahren (z.B. ein Eignungstest) auf eine Minderheit relativ zur Mehrheitsgesellschaft hat. In den USA werden sie als protected groups bezeichnet anhand von Merkmalen, die im Zusammenhang mit gesetzlichen Regelungen gegen Diskriminierung gebräuchlich sind. Für amerikanische Organisationen gilt für solche geschützten Gruppen während eines Auswahlverfahrens – wie einer Einstellungs- oder Beförderungsentscheidung – die Vier/Fünftel-Regel als gesetzliche Notwendigkeit gegen Diskriminierung.

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KI und Arbeitswelt: Kooperation mit künftiger Intelligenz?

Diskussionen um KI sind bemüht, Nutzen und menschliche Vorurteile in Einklang zu bringen. Die Analyse medizinischer Bilddateien erreicht hohe Erkennungsraten und ist oft besser als erfahrene Diagnostiker. Aber beim Auswerten von Lebensläufen für Personaler und die Anreicherung mit Inhalten über Bewerber aus Profilen sozialer Medien ist für viele Schluss mit der Akzeptanz automatisierter Zuarbeit durch Software.

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Interdisziplinäre Kompetenzen in Organisationen: Basis für Diversity und Agilität

Ein Dutzend Disziplinen verwendet den Begriff Kompetenz. Oft wird der gesamte Problemkomplex einer sich verändernden Arbeitswelt mit dem Ruf nach neuen Kompetenzen „gelöst“.  Kompetenz fasst viel zusammen: Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und persönliche Eigenschaften. Gibt es überhaupt einen Zusatznutzen zu diesen gut untersuchten Konstrukten der Arbeitswissenschaft und Personalpsychologie?

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Führung: Angst vor Gefühlen?

Wenig Themen werden so kontrovers diskutiert wie Gefühle. Das ist in der Arbeitswelt nicht anders als zuhause am Esstisch oder im Schlafzimmer. Stammtischparolen wie mangelnde Kontrolle bei Anwesenheit von Gefühlen sind bis in die Forschung vorgedrungen. Anders als viele glauben, sind Gefühle keine Stolpersteine auf dem Weg zu wirtschaftlichem und persönlichem Erfolg. Denn das Wahrnehmen und Erkennen (Kognition) ist selten trennbar von Gefühlen und noch seltener ist diese Trennung sinnvoll.

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